Am 1.4.2005 startete offiziell meine Selbstständigkeit als Kommunikationsdesigner. Ein Rückblick auf 20 spannende Jahre, die immer sehr eng mit der beginnenden Digitalisierung der Branche verliefen. Und ein Ausblick, wie sich mein Beruf verändern wird und ich mich mit ihm.

Mehr als elf Jahre lang war er täglich im Einsatz, mein alter Imac. Elf Jahre, fünf Tage die Woche, jeden Tag 8 Stunden, das ist eine gute Rohstoff- und Energiebilanz, aber jetzt musste er ersetzt werden durch einen neuen Mac Mini und ein Studio Display. Und auf diesem neuen Mac Mini feiere ich tatsächlich mein 20-jähriges Jubiläum als selbstständiger Designer und denke darüber nach, wie die Rechner immer kleiner, schneller und schicker und die Designbranche immer größer, zugänglicher und digitaler wurde.

Ein Technikwechsel war zu Beginn meiner Selbstständigkeit eine fummelige Angelegenheit. Mein erster Mac war eine triste graue Kiste, Apple war eine schrullige Firma, auf die aber aus irgendwelchen Gründen die gesamt Druckvorstufe setzte. Der Mac war gebraucht gekauft und der ganze Luxus war eine zweite Festplatte – mit einem Tesafilmstreifen im Inneren des Kastens in Position gehalten, wie sich später zeigte. Mein eigentliches Heiligtum war aber nicht der Mac, sondern ein Karton mit DVDs, auf denen das Betriebssystem und die wichtigste Software war. Zweimal im Jahr habe ich den Rechner auf Null gesetzt und alles neu aufgespielt. Danach ging alles wieder spürbar schneller und störungsfreier. Offenbar sammelte sich in dem Kasten Datenmüll an so wie Fett an einer Abzugshaube. Irgendwann sitzt es halt zu und muss gereinigt werden.

Diese Pflegemaßnahmen waren immer ein wenig wie die Zeit, in der sich Krebse häuten. Für einen kurzen Moment ist alles sehr verwundbar. Heute geht die Migration von einem Rechner zum anderen fast komplett automatisch und Time Machine erstellt stündliche Backups, die mir schon oft den Tag gerettet haben. Nutzerkonten, -rechte und Arbeitsumgebungen, Verläufe, Vorlieben und Favoriten, alles geht im Paket rüber, ich kann direkt auf dem neuen Rechner weiter arbeiten. Wenn Migration immer so einfach wäre. 

Logo für den Allgemeinen Studierendenausschuss (asta) der FH Münster, 2003, bis heute im Einsatz. Ein wichtiges Projekt für mich, weil es mein erstes war. Ich habe kein Geld für das Logo bekommen, freue mich aber sehr, dass es immer noch im Einsatz ist, obwohl es schon zwei oder drei Relaunch-Versuche gab.
Jubiläumskampagne und Ausstellung für das Kulturgut Haus Nottbeck, 2011. Jubiläumslogos sind leider immer nur kurz im Einsatz, dennoch verdienen sie Sorgfalt und Esprit. Ich liebe es, in Zeichen eine zweite Ebene zu verstecken, die erst auf den zweiten Blick sichtbar wird.

Monitor als Heizkörper

Meine bisherige Erwerbsbiografie ging immer Hand in Hand mit der technischen Entwicklung der Computer und der Medien. Es wird wohl so bald keine weitere Generation geben, die einigermaßen analog startete, um sich innerhalb weniger Jahre komplett zu digitalisieren. Zudem gibt es wenige Branchen, die die Digitalisierung so schnell und unmittelbar adaptieren wie die kreativen Berufe.

Für meine Bewerbung zum Studium habe ich noch Zeichnungen und Acrylmalerei in einer großen Mappe aus Graupappe abgegeben, die ich etwas umständlich mit in den Bus gekantet habe. Zeichnungen und Malerei waren die Eintrittskarte zur Designwelt, um dann im ersten Semester tatsächlich einen Computer-Führerschein zu machen. Einen Führerschein, der ausgedruckt und ausgehändigt wurde. Unter Aufsicht mussten wir einen neuen Ordner erstellen und eine Probeseite ausdrucken. Viele schafften das auf Anhieb, aber es war alles andere als selbstverständlich, dass jeder im Kurs wusste, wie ein Computer an- oder ausgestellt wird. Es gab noch einige, die tatsächlich keinen eigenen Computer hatten oder wenn, dann nur sehr wenig nutzten. Das Internet war noch sehr jung und viele Freizeitbeschäftigungen am Rechner von heute waren noch nicht denkbar.

Von meinen ersten Einnahmen kaufte ich mir einen Röhrenbildschirm mit 21 Zoll Diagonale. Ein ziemlicher Luxus damals und gleichzeitig ein guter Heizkörper für mein kleines Bürozimmer. 

Signet für die Pacelli-Edition, (Universität München, Universtität Münster, Geheimarchive des Vatikan) 2019. Grafisch ist dieses Signet maximal unaufgeregt, dafür ist das, wofür es steht, umso spannender.

Die technische Entwicklung im Kommunikationsdesign wurde nicht von allen begrüßt. Einige der Professoren (ungegendert) knarzten und grantelten gegen das Desktop-Publishing, das gerade Einzug hielt. Damals nicht zu Unrecht, denn die ersten Versionen von QuarkXPress konnten typografisch nicht mit gutem Handsatz mithalten. Die Bildschirme waren nicht so präzise, um Typografie bewerten zu können und DTP wirkte so als würde man einem Profikoch das Messer wegnehmen und stattdessen einen Brieföffner zum Kochen geben. Die Grantler haben aber völlig die disruptiven Potenziale unterschätzt, die die Digitalisierung mit sich bringt. Ebenso wie QuarkXPress unterschätzt hat, wie schnell sich Marktanteile komplett neu verteilen können. Für die Jüngeren: QuarkXPress war die Software, die von InDesign abgelöst wurde und heute ein Nischenleben führt.

Wissen kann schnell schlecht werden

Mein Praktikum vor dem Studium habe ich in einem Belichtungsstudio gemacht, in dem die Filme für Druckplatten belichtet wurden. Mein Job war es, sehr große lichtempfindliche Folien in einer Dunkelkammer zum Belichten auf eine Walze zu ziehen. Druckdaten wurden damals noch nicht digital übermittelt, sondern kamen per Kurier in Form von Druckfilmen. Es wurde Material verschickt, es gab Kuriere, die mit großen Umschlägen in der Bürotür standen und es gab gelegentlich Transportschäden und offene Panik. Es gab vertauschte Filme mit lustigen Farbeffekten im Druck und es gab Druckfilme, die schon öfter im Einsatz waren und hier und da einen halben Buchstaben verloren hatten. Es gab den ganzen Charme von analogen Dingen mit Patina. 

Kampagne für den Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal (Ausschnitt einer mehrteiligen Kampagne), 2019. Ein Archiv historischer Fotografien ist die Grundlage dieser Kampagne, um die Mittelrheinkirschen ins Bewusstsein zu holen.

Noch während ich in der Dunkelkammer diese Filme auf die Walze legte, überholte die Technik diese Fertigkeit. Jetzt belichtete man direkt auf die Druckplatte und  meine gerade erworbenen Fähigkeiten waren absolut und vollständig wertlos. Aber falls mal jemand jemanden braucht, der im Dunkeln große Folien ohne Blasen auf eine Walze ziehen kann, ich bin bereit!

Das erste iphone erschien erst im Jahr 2007 und brachte das Internet mit einer Nutzeroberfläche auf dem Telefon zusammen. Das Eis war gebrochen und innerhalb von weniger als 8 Jahren verlagerte sich der Großteil der visuellen Kommunikation vom Papier auf den Bildschirm. Heute ist mobile first so selbstverständlich, dass man das nicht mehr sagen muss. Was zu Beginn noch sehr holprig und mit starken Einschränkungen (und einer leisen Panik vor den Telefonrechnungen) begann, wuchs sehr schnell zum Hauptmedium heran. Gute Printerzeugnisse herzustellen wurde mehr und mehr zu einem Liebhabermarkt, die Kommunikation auf dem Bildschirm war der Fokus. Gerade hat der REWE entschieden, keine Werbeprospekte aus Papier mehr zu verteilen, es gibt ja die App.

Corporate Communications für bsw yachteinrichter, 2008, bis heute im Einsatz. Ein Corporate Design, das ich von der Gründung des Unternehmens sehr lange begleitet habe. Kommunikativ war hier die größte Schwierigkeit, nicht nur die eigentliche Arbeit zu kennzeichnen, sondern mit den oft nicht-öffentlichen Referenzen sinnhaft umzugehen.

Die Designer bekamen diese Entwicklung natürlich als erste mit. Ich ahnte, dass sehr vieles von dem, was auf Papier gedruckt wurde, zukünftig auf dem Bildschirm gelesen wird. Ich lernte etwas HTML und fing an, erste kleine Websites zu schreiben. Anders als ein Papierblatt ist ein Bildschirm jedoch nicht immer der gleiche Bildschirm. Die Anzahl der Bildschirmformate wurde schnell unübersichtlich und langsam sickerte die Erkenntnis durch, dass man am Bildschirm keine statischen Layouts braucht, sondern dynamische Korridore. Das war eine beleidigende Ungenauigkeit für jeden Designer, der seinen Blick gerade auf fein balancierten Weißraum und typografische Raffinessen hochtrainiert hat. Die Auswahl an Schriften beschränkte sich im damaligen Webdesign auf eine handvoll Systemschriften und Spannung in der Fläche war nur über den Preis eines Layouts mit HTML-Tabellen zu bekommen. Jeder, der schonmal HTML-Tabellen angelegt hat, kennt den Schmerz, den sie verursachen.

Sachillustration zur Entstehung von Giralgeld, 2010. Abstrakte Zusammenhänge zu visualisieren ist eine eigene Disziplin.

Es waren Pionierzeiten, die darauf warteten, dass vom Horizont der weiße Ritter mit CSS im Gepäck angeritten kam. Sieht man jetzt Schnappschüsse, wie die Webseiten spiegel.de oder faz.net vor 15 Jahren aussahen, kann man nicht glauben, dass man diese etwas ungelenk zusammen geschobenen Layouts damals für sehr fortschrittlich hielt.

Vom digitalen Fliesenlegen zum Prozess

Damals gab es das Wort Solo-Selbstständig noch nicht, wir waren freie Designer. Wir arbeiteten wie digitale Fliesenleger und brachten die Dinge in Form. Einige gingen ganz in die Form und wurden dort zu Spezialisten. Sie zeichneten nur noch Icons und Piktogramme. Andere gingen in die Funktion und wurden Datenbankenspezialisten. Einige wenige gingen den Weg in den Designprozess und lernten, wie man eine Gruppe von Akteuren zu einem einheitlichen Meinungsbild bewegt. Zu den letzteren gehörte auch ich. Mit einem guten Formgefühl und einem typografischen Auge sah ich mich als passablen Designer, hatte aber immer einen Faible für die Dinge dahinter, wie sie entstehen.

So veränderte sich meine Arbeit über die Jahre immer mehr von reinen Grafikarbeiten zu einer immer mehr beratenden und strategischeren Arbeit. Ich wurde immer öfter dazu gerufen, bevor der visuelle Designprozess aufgesetzt wurde. Meine Rolle war oft die eines Vermittlers, manchmal zwischen Abteilungen, manchmal zwischen Geschäftsführenden, manchmal zwischen einer Idee und einem Budget. Diese neue Rolle als beratender Gestalter fühlte sich gut an, auch wenn das Impostersyndrom der permanente Freund der Solo-Selbstständigen ist. 

Signet für Focus on Friday, 2009 für Mediacom Düsseldorf. Dieses Signet ist Teil einer sehr umfangreichen Reihe von Signeten, die zu erstellen mir sehr viel Freude bereitet hat.
Corporate Design für mojaTRAVEL, 2009, bis heute im Einsatz. Die warme und ausgewogene Typografie passt sehr gut zur Zielgruppe der Individualreisenden. Dass die Europäische Kommission die gleiche Schriftart wenige Wochen nach moja TRAVEL als Hausschrift ausgewählt hat, ist eine schöne Bestätigung der Qualität des Fonts.

Eine Krankheit der Designbranche, die ich früh kennenlernte, ist folgende: Die eigentliche Designleistung ist eine Denkleistung. Abgerechnet wird aber selten eine reine Denkleistung, sondern eine handwerkliche. Das Konzept für ein Projekt wird oft nicht separat berechnet, sondern mit den Umsetzungsarbeiten zusammen abgerechnet, damit es nicht so auffällt. Mit den Nutzungsrechten konnte man zwar abbilden, wenn ein Denk-Ergebnis einmal deutlich mehr genutzt wurde als geplant. Dennoch haben die Auftraggeber gelernt, dass das Denken nichts kostet und man nur für das Klicken und Schieben bezahlt. Ich war aufgeregt, als ich zum ersten Mal eine Beratungsleistung nicht in einem anderen Rechnungspunkt versteckt habe, sondern einzeln abgerechnet habe. Ich war stolz und glücklich, als die Rechnung anstandslos bezahlt wurde. Die Beratung war eine eigene Leistung. 

Logo netzwerk lernen, 2012, bis heute im Einsatz. Lernen ist eines meiner zentralen Themen. An diesem Signet freut mich besonders, dass es punktsymmetrisch ist und dass in der Typografie eine schöne amerikanische Groteske im Einsatz ist. Sieht man viel zu selten.

Wie gehts weiter?

Wenn ich einen Ausblick wagen müsste für die Designbranche, dann würde ich darauf setzen, dass die digitalen Fliesenlegerarbeiten weniger werden, weil die Werkzeuge dazu immer einfacher zu bedienen sind. Das Brot- und Buttergeschäft einiger Agenturen und vieler Solo-Selbstständigen wird automatisiert werden. Auftraggeber können sich selbst Broschüren erstellen und druckfähige Daten erstellen. Designer werden benötigt, um die Vorlagen zu erstellen und für individuelle Einzelleistungen, wenn ein Ergebnis aus der Masse herausragen soll.

Corporate Design für Schreib- + Spielwaren Hermann, 2017. Direkt nach dem Umzug durfte ich diesen Relaunch zeichnen und bis heute betreuen.

Wenn ich nach vorne schaue, sehe ich, dass das Beherrschen von Software nach und nach überflüssig werden wird. Retuschen, Layouts und Kampagnen zu erstellen ist nicht mehr den Designern vorbehalten, sondern einfach ein Werkzeug wie ein Absatzformat in Word. Wenn alle Werkzeuge von jedem genutzt werden können, wird im Design das wichtig, was den Designberuf immer ausgemacht hat: Das Denken. Design ist das Lösen von Problemen. In meinem Fall mit visuellen und kommunikativen Mitteln. Unsere Aufgabe als Designer wird es sein, diese Denkleistungen sichtbar und fakturierbar zu machen.

Logo für Jan Edenfeld, 2013. Ein Zeichen mit zwei Ebenen zu zeichnen ist ein sehr großer Spaß.

Vieles von dem, was früher Fachwissen und Erfahrung brauchte, wird mit Algorithmen gefasst werden. Schon jetzt werden Druckdokumente und HTML automatisch auf die gängigsten Fehler geprüft, ohne dass ein Mensch Hand anlegen müsste. Wir Designer schließen InDesign und Photoshop und öffnen die Mail-App. Es geht ums Denken, um Lösen von Problemen und um das Bewerten von dem, was Algorithmen an Ergebnissen liefern. Algorithmen und KI nehmen das ab, was Routinearbeiten sind. Varianten erstellen, Optionen auflisten, allerdings alles generiert aus dem, was schon da ist. Völlig neue oder irrationale Schöpfungen können so bisher nicht entstehen, ebenso wenig überraschender Humor.

Logo für Ernährungsmedizin.blog, 2017. Ein Spiel mit Form und Gegenform, mit Erwartung und Bruch.

Früh in meinem Berufsleben habe ich mich für den größeren Blick auf die Branche interessiert und bin dem Berufsverband BDG beigetreten. Für vier Jahre war ich sogar deren Präsident und viele Jahre länger noch im Präsidium, ebenso war ich im Deutschen Designtag aktiv, dem Dachverband der deutschen Designverbände. Alle diese Entwicklungen haben wir dort diskutiert. Teilweise sehr weit im Vorfeld, teilweise auch etwas hinterher hechelnd. Der Designberuf hat immer sehr früh disruptive Elemente eingesetzt und verfügbar gemacht.

Logo für den Deutscher Designtag, 2016. Den Dachverband der deutschen Designverbände zu visualisieren kann abstrakter nicht sein. Daher habe ich Rhythmus und Struktur gewählt, um das Thema Design zu zeigen. Die zehn Striche stehen sehr bewusst nicht nur für die zehn Gründungsverbände, sondern auch für unser Dezimalsystem, also numerische Welten jenseits von Intuition und Genie.

Und jetzt?

Es fühlt sich so an, als wären in der Digitalisierung langsam die Level durchgespielt, zumindest was visuelle Kommunikation angeht. Jeder kann alles machen. Designer werden aber dennoch gebraucht im Sparring, in der Beratung und bei der Implementierung. Sie können die Nutzung der Werkzeuge begleiten und Unterstützung für Richtungsdiskussionen anbieten. Das ist ein etwas anderer Beruf als der, für den ich einst meine Mappe mit Zeichnungen und Acrylbildern abgegeben habe. Aber ich bin ja auch ein anderer als der, der damals seine Mappe in den Bus geschleppt hat.

Logo für Praxis Hammer, 2021. Die Dosis bestimmt die Qualität. Einen Zahn im Schriftzug zu verstecken ist genau richtig. Zwei oder drei wären zu verspielt und würden die Aussage abschwächen.

Die Fähigkeit zu Visualisieren ist durch die digitalen Werkzeuge alles andere als exklusiv geworden. Die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln ist allerdings technikunabhängig und mehr gefragt denn je. Und wie sieht die Vision für meine Arbeit aus? Die Werkzeuge haben sich sehr stark verändert in den letzten zwanzig Jahren. Eines ist aber geblieben: Ein neues Projekt beginne ich immer noch mit einem Stift und einem Blatt Papier, um Gedanken zu sortieren. Probleme lösen, Prozesse strukturieren, Menschen einbinden und gut kommunizieren.

Ich nenne es Design. 

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