Ich schreibe diesen Nachruf und noch bevor ich einen Buchstaben getippt habe, ändere ich die Schriftart. Die Ursache für dieses Verhalten ist Hartmut Brückner und ich höre vor meinem geistigen Ohr seinen verächtlichen Kommentar über die voreingestellte Arial, kombiniert mit einem leichten Schnauben durch seinen Schnurrbart. Die jetzt ausgewählte Schrift Merriweather dürfte schon eher seinen Geschmack treffen.
Hartmut Brückner hat seine Leidenschaft für Typografie weitergegeben wie etwas Selbstverständliches, so als müsste man jemanden von frischem Pflaumenkuchen mit Sahne überzeugen. Wir haben mit dem Beamer das kleine c der Univers in maximaler Vergrößerung an die Wand geworfen und tatsächlich so etwas wie eine Kurvendiskussion gestartet. Er wollte uns zeigen, dass die Mikrodetails eines Buchstabens wichtig sind, um daraus eine gute Arbeitsschrift zu machen. Nur wenige Schriften genügten seinen Ansprüchen. Das heutige Angebot an Fonts ist qualitativ um Längen breiter und besser als das damals verfügbare. Damals waren gute Satzschriften für Studenten unerschwinglich und es brauchte einen Professor, der seinen Rechner, randvoll mit guten Satzschriften, offen auf dem Tisch stehen ließ mit den Worten, dass er jetzt einen Kaffee holen geht und nicht wissen kann, was in der Zeit von seinem Rechner kopiert wird.
Wenn man wie ich das erste Kind einer großen Familie ist, das studieren geht und dann noch so etwas abseitiges wie Design, ist das viel Neuland auf einmal. Um so wichtiger ist dann jemand, der in diesem Neuland zu Hause ist und hanseatisch unaufgeregt dafür sorgt, dass sich alle in diesem Neuland zurecht finden. Hartmut Brückner stellte Ansprüche an seine Kursteilnehmer, zeigte sich aber als treues Bremer Herz, wenn man einmal sein Vertrauen erworben hatte. Ich werde nie vergessen, wie er unseren Kurs in sein Atelier in Bremen einlud, wir dort sogar übernachteten. Seine – leider auch schon verstorbene – Frau versorgte uns mit Delikatessen und die aus Versehen zerstörte Computer-Tastatur wurde mit keiner Silbe erwähnt. Seine Komplimente waren so kurz wie selten, sein »na ja« zeigte den Entwürfen den Weg zum Papierkorb. Er verstand es, mit nur wenigen Handgriffen alle um ihn herum zur Extrameile anzuspornen.
Design an einer Fachhochschule nach dem Jahrtausendwechsel zu studieren hieß, dass sehr freie, künstlerische und impulsive Professoren, die auch keine Scheu vor Liaisons mit Studentinnen hatten, von Professoren abgelöst wurden, die einen Dienstleistungsberuf vor Augen hatten, der Verbindlichkeit, Logik und Zurückhaltung forderte. Das aufkommende Desktop Publishing verstärkte dies noch. Hartmut Brückner war einer der wenigen Designprofessoren, der neben der Lehre als Unternehmer selbstständig war und brachte diese Haltung mit in die Lehre. Design leitet sich aus dem Inhalt ab, nicht aus dem Impuls. Keine zur Schau gestellte Empfindsamkeit, sondern Handwerk und Intuition. Modisches lehnte er als Tinnef ab. Design muss länger halten, nachhaltig sein.
Als gelernter Schriftsetzer, der noch mit Bleibuchstaben hantierte und ein Glas Milch jeden Tag bekam, um die Schwermetalle im Magen zu binden, war Brückner darauf trainiert, erst zu denken und dann zu setzen. Im Bleisatz braucht jedes Layoutexperiment viel Zeit, da ist der Kopf schneller. Quark Xpress, das Satzprogramm der Stunde, hatte neben allen nüchternen Funktionen auch Spielereien zu bieten, die er allesamt ablehnte, weil sie vom Programm vorgegeben sind und nicht vom Inhalt. Wir Studenten, heiß darauf, uns gestalterisch auszutoben, sind dem nur murrend gefolgt und haben erst später verstanden. Jetzt, nach 15 Jahren der eigenen Selbstständigkeit im Design, sehe ich den Wert sehr deutlich, den diese radikale Denkschule für mich heute immer noch hat.
Hartmut Brückner hat Eigeninitiative sehr geschätzt. Kursteilnehmer, die zur Recherche quer durch Deutschland fuhren, um ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen, wurden mit einem für Bremen schon fast überschwänglichen »Klasse« geadelt. Als junger Designstudent habe ich einen schwulen Stadtplaner für Münster herausgebracht. Ich habe selbst recherchiert, geschrieben, fotografiert, gestaltet und schließlich in Druck gegeben. Ich war sehr stolz auf diese Eigenleistung, die auf dem Titel eine Sandsteinskulptur aus zwei Bananen zeigte und brachte ihm ein Exemplar mit in den Kurs. Ich wusste nicht, ob Brückner sich für das Privatleben seiner Studenten interessierte, aber als er die Broschüre von mir betont lässig überreicht bekam überlegte er nur kurz, gestatte seinem Mundwinkel eine kurze Sekunde Freude und antwortete dann dass er wohl eine gute Geschichte braucht, wenn ihm diese Broschüre bei seiner Frau aus der Tasche fällt. Brückner brachte nicht nur auf unserem Neuland Orientierung, sondern auch wenn er selber welches betrat.
Als Student erlebt man einen Professor nur wenige Semester und es wäre vermessen zu sagen, dass man in der kurzen Zeit jemanden gekannt hat. Der Hartmut Brückner jedoch, den meine Kommilitonen und ich kennen gelernt haben, wirkt bis heute nach und prägt noch lange. Wir haben unser Diplom erhalten, als der Designberuf sich radikal digitalisierte und zum Neuland wurde. Hartmut Brückner hat uns einen Weg in dieses Neuland bereitet, das Unwichtige unwichtig genannt und das Wichtige wichtig. Er hat hinter der neuen Technik den eigentlichen Beruf des Designers betont und definiert: Inhalte sichtbar machen, Strukturen freilegen, dazu verdammt gute Typografie und immer Mensch bleiben.
Hartmut Brückner starb am 21.12.2019 im Alter von 69 Jahren in Bremen.
1 Kommentar
Ein unfassbar wunderbarer und treffender Text für diesen tollen Menschen. Ich schätze mich bis heute überglücklich ihn gekannt und bei ihm gelernt zu haben. Noch immer bezeichne ich ihn als meinen Mentor und Wegbereiter meiner Auffassung von Design.